Nähert man sich der Hauptstadt Polens, fällt dem aufmerksamen Betrachter die aus mehreren hohen Gebäuden bestehende Stadtsilhouette ins Auge. Ein Bauwerk hebt sich dabei durch seine unverwechselbare Form von den anderen Hochhäusern ab: der Kulturpalast (Polnisch: Pałac Kultury i Nauki). Aufgrund seiner Ausmaße und seines prominenten Standortes im Stadtzentrum gilt der Kulturpalast als das bekannteste Wahrzeichen von Warschau. Der Palast erstreckt sich auf einer Fläche von sechs Hektar und besteht aus mehreren Gebäudeflügeln, an dessen zentralem Berührungspunkt sich der 231 Meter hohe Wolkenkratzer erhebt. Im Wolkenkratzer, der bis zum heutigen Tage das höchste Gebäude in Polen ist, befinden sich neben der Aussichtsterrasse im 30. Stockwerk ausschließlich Büroräumlichkeiten. Die niedrigeren Gebäudeflügel beherbergen den Kongresssaal, einen Kinokomplex, zwei Museen, vier Theater, einige Sporthallen und sogar eine Schwimmhalle.
Der Kulturpalast wurde nach nur dreijähriger Bauzeit im Jahre 1955 feierlich eröffnet. Gestaltet wurde das Bauwerk im Stil des Sozialistischen Klassizismus, der infolge der Sowjetisierung Polens zur führenden Architektur beim Wiederaufbau Warschaus nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben wurde. Aus diesem Grund begegnet man im Stadtgebiet weiteren Objekten, die in diesem Architekturstil errichtet wurden. Zu ihnen zählen u. a. das Parteihaus in der Nähe vom Nationalmuseum, die Wohnsiedlung „Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa“ in der südlichen Innenstadt, die Neubebauung des durch Kriegshandlungen und Ghetto-Aufstand vollkommen zerstörten Stadtteils Muranów sowie einige Ministerien.
Zum Zeitpunkt der Eröffnung wurde der Kulturpalast in der offiziellen politischen Version als „Geschenk“ der Sowjetunion (verkörpert durch Josef Stalin) an das polnische Volk propagiert. Tatsächlich wurde das Projekt von einem Architektenteam um Lew W. Rudnew, der zuvor den Entwurf für das Hauptgebäude der Lomonossow-Universität in Moskau ausgearbeitet hatte, konzipiert, bevor es mit Arbeitskräften, Baumaterialien und Geldern aus der Sowjetunion realisiert wurde. Daher trug das Gebäude anfangs den Namen des sowjetischen Diktators, was aber 1956 durch den Entstalinisierungsprozess aufgehoben wurde.
Während des Bestehens der Volksrepublik Polen dienten der Kongresssaal, das zweite und vierte Stockwerk im Hochhausteil repräsentativen Zwecken der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. Seit der Überwindung des Sozialismus werden diese Räumlichkeiten für andersartige Anlässe genutzt: Ausstellungen, Messen, Tagungen, Konzerte, private Feiern sowie für weitere diverse Veranstaltungen.
Für die Innenräume im Palast wurden nur Baustoffe von höchster Qualität verwendet: allerlei Gesteinsarten, unterschiedliche Hölzer, Kristallglas usw. Die weitläufigen Säle im zweiten und vierten Stockwerk erhielten im Hinblick auf ihre repräsentative Funktion eine besonders prunkvolle Ausstattung. Hohe Glastüren, massive Säulen, ausladende Marmortreppen und fürstliche Kronleuchter werden hier dem Namen des Bauwerks gerecht.
Am und im Kulturpalast trifft man auf viele verschiedenartige Kunstwerke, die von den begabtesten Künstlern Polens kreiert wurden. Insgesamt 30 Figuren sind außerhalb des Palastes positioniert. Die beiden größten Statuen flankieren die Treppe, die zum Haupteingang führt, und zeigen den Nationaldichter Polens Adam Mickiewicz und den Astronomen Nikolaus Kopernikus. Diese beiden Persönlichkeiten wurden nicht zufällig ausgewählt, sollten sie doch als Symbolfiguren für Kultur und Wissenschaft die Funktionen des Gebäudes ästhetisch unterstreichen.
Nach 1989 wurde wiederholt der Abriss des Kulturpalastes gefordert. Hierbei spielten politische sowie stadtplanerische Argumente eine Rolle. Seit 2007 aber steht der Palast unter Denkmalschutz.
Autor: Tony Kowal (Jahrgang 1993), Absolvent des Historischen Seminars an der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz, befasste sich in seiner Studienabschlussarbeit mit der Architektur des Sozialistischen Klassizismus im Stadtbild von Warschau, betreut als Fremdenführer regelmäßig Besucher im Kulturpalast.
Copyright für Texte und Bilder: Tony Kowal.